Arbeitsbedingungen in der digitalen Spieleindustrie

Arbeitsbedingungen bei der Entwicklung von digitaler Spielesoftware
Prof. Dr. Christina Teipen, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

1. Problemstellung

Das Forschungsprojekt liefert einen Beitrag zu der allgemeineren Forschungsfrage, von welchen strukturellen Faktoren die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche und – in Abhängigkeit davon – Arbeitsbedingungen beeinflusst werden. Wichtige theoretische Bezüge stellen hierbei der „Varieties-of-Capitalism-“ (Hall/Soskice 2001) und der „global-value-chain“-Ansatz (Gereffi u.a. 2005) dar. Ihre Erklärungskraft für das Verhältnis der makrosoziologischen Dimensionen von Institutionen und transnationalen Wertschöpfungsketten auf die mesosoziologische Ebene einer Branche und die mikrosoziologische Dimension von Arbeitsbedingungen steht im Zentrum dieser Untersuchung.

Als empirischer Fall wurde die interaktive Unterhaltungssoftware ausgewählt, die sich weltweit gesehen als ein Wachstumsmarkt entwickelt. Eine begrenzte Zahl von Hardwareherstellern, eine Vielzahl von Verlegern und zahlreiche Entwicklerstudios beteiligen sich an der Jagd nach Marktanteilen für verschiedenartige Genres: von in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder kontrovers diskutierten „Killerspielen“ bis zu Sport- oder Strategiespielen und neuerdings sogenannten „Serious Games“ und Spielen zu Bildungszwecken. In den meisten europäischen Ländern, darunter Deutschland, Schweden und Polen, sind Unternehmen für solche Unterhaltungssoftware entstanden. Sie konnten sich in der Vergangenheit allerdings nicht mit nennenswerten Anteilen positionieren. Obwohl Deutschland mit etwa 1 Mrd. Euro der zweitgrößte europäische Computerspielmarkt war (Sauer und Schäfer 2004), wird nur ein minimaler Prozentsatz der hier verkauften Spiele auch in Deutschland hergestellt.

2. Zielsetzung

Gründe von Entwicklungsblockaden dieser neuen Industrie und ihren Folgen für Arbeitsbedingungen werden hier am Beispiel der Computerspielbranche und den dort beschäftigten Entwicklern analysiert. Die ökonomischen Erfolgspositionen sind im Zusammenhang dieser Studie von Interesse, weil sie entscheidende Rahmenbedingungen für personalpolitische Handlungsmöglichkeiten setzen, wobei die Arbeitsbedingungen letztendlich den Fluchtpunkt der Betrachtung bilden. Erfolgreiche Unternehmen haben einen größeren Handlungsspielraum gegenüber ihrem Personal als solche, die sich in Gründungsphasen oder aufgrund ausbleibender Markterfolge in existentiellen finanziellen Engpässen befinden. Die Softwareprodukte selbst werden hingegen nicht im Vordergrund der Überlegungen stehen, sondern sind hier lediglich im Hinblick auf ihre Anforderungen an die Qualifikation der Entwickler und die benötigten Ressourcen von Bedeutung.

3.Vorgehensweise

Für drei ausgewählte Länder – Schweden, Polen und Deutschland - wird das Zusammenspiel von makro-institutionellen und branchenspezifischen Bedingungen der Entwicklung einer kreativen Industrie und den Arbeits- und Beschäftigungssystemen auf der Unternehmensebene untersucht. Auf der Mikroebene wird ein Schwergewicht auf die Interessenvertretung, die Flexibilität von Arbeit und Beschäftigung, die Rolle der Ausbildung und Qualifizierung sowie von Aktienoptionen als einem Anreiz- und Finanzierungsinstrument gelegt. Auf der makroinstitutionellen Ebene konzentriert sich die Studie auf das System der Arbeitsregulierung sowie das Ausbildungs- und das Finanzsystem.

4. Ergebnisse

Die Industrie in den drei Ländern war durch eine starke Polarisierung zwischen den Publishing-Unternehmen und den Entwicklungsunternehmen gekennzeichnet. Es existierte eine Vielzahl an instabilen kleinen Entwicklungsstudios, die von einer Finanzierung durch Verleger abhängig waren. Hiervon ließ sich lediglich ein kleines Segment international erfolgreicher Entwicklerunternehmen wie Digital Illusions in Schweden und Crytek in Deutschland abgrenzen.

5. Fazit

Die Möglichkeiten nationaler Finanzierungssysteme beeinflussen damit sowohl die Abhängigkeit der Entwicklerstudios gegenüber den Verlagsunternehmen, die sich entlang der Prozesskette auf Finanzierung und Marketing spezialisiert haben, als auch die Entwicklungsbedingungen der Verleger selbst. Der Blick auf die französische Computerspielebranche, die mithilfe des Flaggschiffes Ubisoft seine internationale Marktposition immer weiter verbessern konnte, bestätigt die Bedeutung sowohl eines tiefgreifenden Wandels des nationalen Finanzsystems als auch des Einsatzes öffentlicher Förderpolitik.

Zentrale Bedingungen für Beschäftigung in Entwicklerstudios werden nicht ausschließlich von diesen selbst beeinflusst, sondern rühren von technologischen Vorgaben und Neuerungen in anderen Segmenten der Wertschöpfungskette her: den Hardwarefirmen und ihren Geräten, den Verlegern und der Digitalisierung des Vertriebs. Zu einem Zeitpunkt, als Großkonsolenspiele das weltweite Wachstumsgeschehen dominierten, hatten die untersuchten Spieleentwicklerfirmen insgesamt eher ungünstige Chancen. Das führte zu einem instabilen Personalmanagement, das größtenteils vom Auf und Ab des hochriskanten Marktes sowie Finanzzusagen von Verlegern abhängig war. Dieses Blatt scheint sich mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Hardware hin zu Online-Spielen und Spielen in sozialen Netzwerken leicht zu wenden. Ein positiver Effekt könnte in der Stabilisierung von Beschäftigungsverhältnissen bestehen, ein langfristig negativer Aspekt könnte allerdings in einer Entwertung der bisher sehr hohen technologischen Anforderungen liegen.

Literatur

  • Gereffi, G.; Humphrey, J.; Sturgeon, T. (2005): The governance of global value chains. In: Review of International Political Economy 12 (1), S. 78–104. DOI: 10.1080/09692290500049805.
  • Hall, P. A.; Soskice, D. (2001): An Introduction to Varieties of Capitalism. In: Peter A. Hall und David W. Soskice (Hg.): Varieties of capitalism. The institutional foundations of comparative advantage. Oxford [England], New York: Oxford University Press, S. 1–70.
  • Sauer, C.; Schäfer. R. (2004) Jahrbuch des Verbands der Unterhaltungssoftware Deutschland. Unterhaltungssoftwaremarkt in Deutschland. München: Entertainment Media.

Veröffentlichung

  • Christina Teipen (2015): “The Implications of the Value Chain and Financial Institutions for Work and Employment: Insights from the Video Game Industry in Poland, Sweden, and Germany.” In: British Journal of Industrial Relations, DOI 10.1111/bjir.12144.